Unser Heim 124 in União dos Palmares-AL

Bei meiner allerersten Reise nach Brasilien im Jahr 2003 führte die Rundreise auch in den Bundesstaat Alagoas. Ein landschaftlich sehr schöner Staat, mit den schönsten Stränden, grün bewachsenen Hügeln mit viel Rindvieh. Ein gewaltiger Kontrast zum extrem trockenen Hinterland im Nachbarstaat Pernambuco. Allerdings ist und war Alagoas ein sehr armer Staat mit einem (damals) enormen Anteil an Analphabeten.

Die Stadt União dos Palmares hat eine interessante Geschichte zum Thema geflohener Sklaven. Aber dies alles (Quilombo, Capoeira…) würde hier den Ramen sprengen.

Unser Heim 124 „Raio do luz“ (Lichtstrahl) war gerade komplett umgebaut und fertig gestellt. Schlafsäle mit neu aufgestellten Betten und noch eingepackten Matratzen standen bereit, um dort ein Schulungszentrum zu eröffnen. Der damalige 1. Vorsitzende hatte in Verhandlungen mit der Regierung des Bundesstaates eine Zusammenarbeit vereinbart und so sollten jugendliche Patenkinder, die mit der Schule fertig waren, dort verschiedene Tätigkeiten lernen können. Da es in Brasilien keinerlei Berufsausbildung gibt sollten verschiedene Fertigkeiten beigebracht werden.

Finanziert wurde zunächst alles aus Spendengeldern. Als dann alles fertig war und der Bundesstaat Alagoas seinen Anteil beisteuern sollte, kam: Nichts.
Es gab zwar Verträge, aber letztendlich und nach viel Streitereien gab es keinerlei Unterstützung vom Bundesstaat. Daraufhin war das Projekt „Ausbildungszentrum“ für den damaligen Vorsitzenden praktisch erledigt. Die Matratzen blieben noch jahrelang eingepackt liegen…

Nagelneu eingerichteter Schlafsaal im Jahr 2003

Viele Jahre später, der damalige 1. Vorsitzende war inzwischen verstorben, besuchte ich als frisch gewählter Vorsitzender das Heim im Jahr 2015. Ich fand eine vollkommen andere Situation vor. Ein praktisch verkommenes Heim. Dreckig, viel Müll, kaputte installationen… Die damalige Heimleiterin habe ich umgehend entlassen, denn sie hatte sich um nichts gekümmert.

Der heruntergekommene Zustand im Jahr 2015

Rette ein Kinderleben e.V. hat in den kommenden Monaten dafür gesorgt, dass das Heim 124 wieder „aufgeräumt“ wurde. Natürlich waren viele der damals gekauften Einrichtungsdinge „verschwunden“. So natürlich auch die Betten und Matratzen. Aber auch die gesamte Küche war schlicht leer. Ein sehr deprimierender Anblick.

Das Heim besteht aus einem oberen und einem unteren Teil, verbunden durch eine Treppe mit mehreren Stufen.

Der untere Teil des Heimes wurde mittlerweile an eine Schule vermietet. Die Schule fragte dann an, ob sie auch den oberen Teil benutzen könne. In einem Gespräch mit dem Bürgermeister bot ich diesem an, er können das Heim zu einem günstigen Preis kaufen. Aber dieser erwidete: Ich könne das Heim gar nicht verkaufen, denn der Boden, auf dem es gebaut wurde, gehört gar nicht dem Verein.
Es stellte sich heraus, dass der damalige 1. Vorsitzende beim Kauf des Grundstücks betrogen wurde. Das Grundstück wurde ihm von jemandem verkauft, dem es gar nicht gehörte. Der ganze Stadtteil ringsherum ebenfalls… So etwas kann man nicht mit deutschen Maßstäben messen. Natürlich haben wir alles mit zig Stempeln vom Notariat bestätigt, aber auch die sind dem Schwindel aufgesessen. Der damalige Verkäufer ist mitlerweile verstorben und alles hängt „in der Luft“. 

Also mietet die Schule weiterhin von uns große Teile des Heimes und wir haben uns auf einen einzigen Raum zurückgezogen. Von meinen Besuchen vor Ort weiß ich, dass dies eine sehr gute Lösung ist. Die Kinder dort in der Schule haben wirklich ein tolles Umfeld zum lernen und sie strahlen Freude aus!

Die Schule im unteren Bereich des Heimes 124

Das Heim 124 hat seit 2015 keine eigene Heimleitung mehr. Es wurde vom ca. 80km entfernten Heim 122 mitbetreut. Die Heimleiterin kam von dort monatlich für einige Tage nach União um die Patenkinder und die Familien zu treffen, Fotos zu machen, Coupons auszugeben usw.

Wir haben auch seit 2015, mit einer einzigen ungeplanten Ausnahme, keine neuen Patenkinder mehr vor Ort aufgenommen. So ist die Zahl der Patenkinder seitdem stetig zurück gegangen. Aktuell sind es noch 7 Patenkinder.

Sie können sicher nachvollziehen, dass dies finanziell irgendwann nicht mehr tragbar ist. Bislang haben wir das Heim 124 noch „mitgeschleift“, aber seit Corona haben wir enorm weniger Einnahmen durch Spenden. Um genau zu sein: Der Finanzbericht für das vergangene Jahr 2021 zeigt mehr als 100.000€ weniger Spendeneingänge als im Jahr zuvor. Und nun kommt für viele Spender die Angst vor einem „kalten Winter“ dazu. Und so sind derzeit die Sonderspenden auf fast Null eingebrochen.

Aus diesen Gründen müssen wir nun leider einige Sparmaßnahmen ergreifen und kleine, „unrentable“ Standorte aufgeben. Das Heim 124 ist davon schon jetzt betroffen. Rette ein Kinderleben e.V. schließt das Heim 124 zu Ende August 2022. Die Paten der betroffenen Kinder werden einzeln von uns angeschrieben. Der Kontakt zu den dann ehemaligen Patenkindern ist mindestens bis zum Ende des Jahres gesichert.

Auch die anderen 3 kleinen Heime 103, 109 und 110 werden in absehbarer Zeit geschlossen. Noch versuchen wir es so lange wie möglich herauszuzögern, aber auch deren Schicksal ist letztendlich bereits besiegelt… Neue Patenkinder nehmen wir dort schon lange nicht mehr auf. Die Heimleiterin von Heim 109 wurde bereits vor Monaten entlassen, die von Heim 110 geht im Oktober. Sparen heißt leider in erster Linie: Mitarbeiter entlassen. Qualifizierte, gute Mitarbeiterinnen, denen nichts vorzuwerfen ist und deren Verlust wirklich schmerzt….aber die wir schlicht nicht mehr bezahlen können.
Diese 3 Heime werden dann zusammen von unserer Administratorin mitbetreut, die ihr Büro im selben Gebäude hat, wo auch das Heim 103 ansässig ist.

Unser Fokus für die Zukunft liegt auf den größeren Heimen mit mindestens 100 Kindern. Auch dort mussten schon Mitarbeiterinnen gehen, aber durch optimierte Organisation funktioniert dort noch alles bestens.

Mit freundlichen Grüßen

Ralf Fitzner
1. Vorsitzender

Ein kleiner Junge des Heimes 124 fehlt auf diesem Gruppenfoto

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