Manchmal versteht man die Welt nicht mehr

Seit etwas über einem Jahr lebt sie die Woche über in unserem Heim 127. Zu Hause hat sie noch eine große und eine ganz kleine Schwester. Auf den ersten Blick ein „ganz normaler“ Armutsfall, bei dem der Pate gerne hilft. Im Heim ist sie glücklich und hat viele Freundinnen. 

Und dann berichtet uns die Heimleiterin über die aktuellen Entwicklungen: Der Vater wurde zu 12 Jahren verurteilt und sitzt nun im Gefängnis. Warum?
Er hat seine beiden Töchter regelmäßig vergewaltigt. Das muss schon vor Jahren angefangen haben, als die Mädchen jeweils 7-8 Jahre alt waren.
Irgendwann hat es die größere Schwester geschafft, ihren eigenen Vater bei der Polizei anzuzeigen. Das war sicher eine seelisch enorm schwierige Situation letztendlich diesen Schritt zu gehen. Von der Mutter gab es keine Unterstützung. Die leugnet bis heute, dass überhaupt irgendetwas vorgefallen ist. Schließlich ist der Mann derjenige, der das Geld verdient.

Wir können Ihnen natürlich keine Fotos der Mädchen zeigen, aber glauben Sie uns bitte, solch traurige Augen haben auch wir kaum zuvor gesehen.

Irgendwie hatte sich der Vater im Gefängnis ein Handy besorgt und schickte seiner ältesten Tochter Nachrichten, mit denen er sie weiterhin unter Druck setzte. Wir haben daraufhin auch die ältere Schwester bei uns im Heim aufgenommen. Eine neue Sim-Karte hat sie auch von uns bekommen, damit sie ihre sozialen Netzwerke mit anderer Nummer neu beginnen kann.

Wir wissen, dass dies kein Einzelfall ist. Es gibt viele, wirklich viele „Gerüchte“. Aber es ist nicht einfach von außen eine solche Situation „aufzubrechen“. 
Vor einigen Jahren hatten wir ein anderes, 13 jähriges Mädchen im Heim, weil die Familie so extrem arm ist. Sie war immer sehr still und beteiligte sich nicht an den Spielen der anderen. Nach wenigen Monaten hat die Mutter das Kind wieder aus dem Heim genommen. Sie solle besser zu Hause bleiben. Es dauert kaum ein Jahr und das Kind war schwanger. Angeblich von einem Mann aus São Paulo, den das Kind zufällig in der Stadt getroffen habe…
Alle Nachbarn sind sich einig und bestätigten unseren Verdacht: Es war der eigene Vater.
Wir haben versucht den Vater bei der Polizei anzuzeigen, aber das ist im Sand verlaufen, da die Mutter auch hier die Version deckt und dem Kind nicht hilft. Für einen DNA Test haben die Behörden kein Geld und zeigen auch kein wirkliches Interesse daran, den Fall aufzuklären. Stattdessen wurden die Mitarbeiterinnen im Heim dann von der Familie bedroht…

Wir können nur hoffen, dass wir mit unseren persönlichen Gesprächen mit den Mädchen in der Lage sind die Möglichkeiten aufzuzeigen, um solch eine schreckliche Situation zu beenden. Seit 25 Jahren finden jedes Jahr am 18. Mai in allen Städten große Veranstaltungen zur Sensibilisierung der Mädchen statt. Ihnen werden ihre Rechte erklärt und wie man sich zur Wehr setzen kann. In unseren Heimen haben wir dazu Gemeinschaftsarbeiten und individuelle Gespräche der Mädchen mit Psychologen von der Stadt. Unsere Mitarbeiterinnen werden außerdem in zusätzlichen Veranstaltungen mit Schulungsmaterial und weitergehenden Informationen versorgt.

Proteja nossas Crianças e Adolescentes - Schützt unsere Kinder und Jugendlichen

Bei einem anderen Mädchen, welches schon eine Weile in unserem Heim lebte, passierte auch etwas extrem ungewöhnliches. Sie fing urplötzlich an andere Kinder zu schlagen. Auch unsere Betreuerinnen wurden Ziel Ihrer Angriffe. Aus vollkommen heiterem Himmel wurde sie agressiv. 
Auch wenn der Vater schon nicht mehr lebt hatten wir hier auch zunächst im Verdacht, dass sie vor kurzem ein extremes, traumatisches Erlebnis hatte. Nachdem Eltern sich beschwert hatten, dass ihre Kinder von diesem Mädchen im Heim geschlagen wurden, blieb uns nichts anderes übrig als sie „nach Hause“ zu schicken. 
Nur… Ein „zu Hause“ hat dieses Mädchen nicht wirklich. Wenn das Heim am Wochenende ausnahmsweise mal geschlossen war und sie mit Ihrer kleineren Schwester zurück in den Ort musste, von wo sie kommt, dann schliefen beide nicht bei der Mutter, sondern „auf der Straße“. Was auch immer man sich darunter vorstellt, es ist sicher noch schlimmer… Die Mutter lebt von „Herrenbesuch“ und da stören Kinder im Haus. 

Wir wollten das Mädchen zu einem Psychologen schicken. Auf eine Betreuung durch das staatliche Gesundheitssystem hätten wir vermutlich 1 Jahr warten müssen. Nach Rücksprache mit der Patin konnten wir ihre Sonderspende verwenden, die sie zufällig zur gleichen Zeit geschickt hatte, um „privat“ eine Psychologin zu bezahlen. Leider konnte auch Sie keinen wirklichen Grund finden, warum das Mädchen plötzlich so agressiv wurde.

Das „Happy End“ ist, dass es kein sexueller Mißbrauch war. Inzwischen lebt das Mädchen bei einer Tante und geht dort in der Nähe in eine andere Schule. Die langjährige Patin wird Sie weiter unterstützen. 

Da meldet sich die Heimleiterin eines anderen Heimes. Patenkind Nummer „soundso“ ist schwanger. OK, kommt leider immer wieder vor. Trotz all unserer Bemühungen den Mädchen zu erklären, dass es wichtig ist ERST die Schule abzuschließen und erst danach an Nachwuchs zu denken… Trotz all der Vorführungen der örtlichen Gesundheitsämter in unseren Heimen zum Thema Verhütung und Geschlechtskrankheiten.
Dieses Thema liegt uns wirklich am Herzen, weil wir so gerne möchten, dass die Patenkinder, insbesondere die Mädchen, durch einen guten Schulabschluß die Chance auf ein besseres Leben bekommen. 
Leider war dieses Mädchen niemals bei einer solchen Schulung oder Unterredung in unserem Heim dabei, denn wir fangen damit erst ab 14 Jahren an. Dieses nun schwangere Mädchen ist gerade einmal 12 Jahre alt. 

Natürlich ist es eine Straftat gewesen. Der Junge, 16 Jahre alt, hat aber trotz der eindeutigen Gesetzeslage nichts zu befürchten. Da sieht man einfach drüber hinweg. Sowas „in der Art“ passiert dort viel zu oft, als dass sich jemand damit beschäftigen wollte. Zu spät, es ist passiert und wieder wird ein kleines, absolut unschuldiges Baby unfreiwillig in eine vollkommen verfahrene, extrem arme Situation hinein geboren. 

Eine typische Straße in einem "Invasionsgebiet". Ungeregelter Bau von Hütten und Häusern auf "genommenem" Gelände. Keine Kanalisation.
Geschenk

Diese Mutter freut sich über ein Geschenk des Heimes. Dieses alte Doppelstockbett („Beliche“) und die uralte Matratze gehören eigentlich auf den Müll. Aber es gibt noch viele , nennen wir es „Wohnstätten“, denn Hütte oder Haus wird diesen Bruchbuden oftmals nicht gerecht, in denen Kinder auf einer Pappe auf dem Fußboden schlafen. Siehe auch das obige Titelbild aus Manaíra-PB. Wehe es regnet…

Zu dem Titelfoto gibt auch eine extrem „verwirrende“ Geschichte. Da geht es um eine Familie bei der man den Eindruck hat, dass alle, aber auch wirklich alle mental extrem zurückgeblieben sind. Die Eltern sind offenbar geistig nicht in der Lage ihre 4 Kinder zu erziehen oder ihnen wenigstens ein „normales“ Umfeld zu bieten. So lebt diese Familie derzeit:

Bruchbude

Bis vor kurzem haben sie noch in einem Haus gelebt. Warum sie da nicht mehr wohnen wollen sie nicht erzählen.  Der Pate hatte gerade erst einen neuen Herd als Sonderspende gekauft. Auf einmal leben alle in diesem „Anbau“ am Haus der Großmutter.

Die Heimleiterin berichtet: Die Familie sagt, sie würde keine Wohnung im Ort finden. Dabei beziehen sie „Bolsa Família“, eine Sozialhilfe, die mit der Anzahl der Kinder steigt. Aber das würde angeblich nicht reichen. Für uns klingt das nicht nachvollziehbar. Was die Familie mit dem Geld macht wissen wir nicht. Aber es scheint wieder einmal ein Beispiel dafür zu sein, dass man kein Bargeld zur Hilfe ausgeben sollte. Deswegen verteilen wir auch Einkaufscoupons, mit denen ausschließlich Lebensmittel gekauft werden können…
Die Stadt ist über diese Familie bestens im Bilde, denn es gab schon so einige „Vorfälle“. Da ist z.B. eines der kleineren Mädchen einfach mal nicht in der Schule erschienen und die halbe Stadt hat sie gesucht… Bis sie abends „quietschfidel“ wieder zu Hause eintraf. Wo sie war hat sie nie gesagt.

Die Bezirksregierung baut derzeit 50 Wohnungen für Bedürftige und auch diese Familie soll kostenlos eine dieser Wohnungen bekommen. Aber sie wollen nicht. „Es wäre zu weit aus der Stadt raus“… Stattdessen leben sie mit 6 Personen in 3 Betten in diesem „nichts“. Beim nächsten Regen fliegt ihnen das alles um die Ohren.

Man schüttelt wirklich oftmals nur noch mit dem Kopf. Wie soll man Leuten helfen, die sich nicht helfen lassen, die die Zusammenhänge nicht verstehen.  Das Patenkind ist extrem schlecht in der Schule. Noten unterhalb von 50%. Sie kommt mehrfach pro Woche in unser Heim und wir versuchen ihr zu helfen, aber sie spricht fast kein Wort. Für die 4 Kinder ist das „Leben“ praktisch vorbei, bevor es richtig begonnen hat, denn sie haben keine Chance jemals aus dieser Armut zu entkommen. Prognose: Schwanger vor Schulabschuß und anschließend die üblichen 4-6 Kinder von mindestens genauso vielen Vätern.
Für uns gibt es anscheinend keine Möglichkeit die Situation effektiv zu verbessern. Wenigstens haben die Kinder durch den Paten etwas zu Essen…

Einige Patenkinder machen zusammen Hausaufgaben im Heim 122 in Jaqueira-PE. Die Heimleiterin steht natürlich mit Rat und Tat beiseite und hilft, wenn es mal nicht weiter geht. Für die „schwierigen“ Fälle gibt es auch extra Nachhilfeunterricht. Eine ähnliche Szene aus dem Heim 127:

 

Nachhilfe im Heim 127

Täglich sind es mehrere kleine Gruppen, die nacheinander im Heim solch eine Unterstützung bekommen. Dies hier sind z.B. alles „externe“ Kinder, die nicht im Heim leben, sondern bei Ihren Familien. 

Ganz was Neues: Die Stadt Santa Cruz da Baixa Verde-PE hat mehrere Programme gestartet, um Kinder zur Bewegung zu animieren. Der „Ballet“ Kurs ist bei unseren kleinen Mädchen extrem beliebt!

Ballet 127
Ausbildung beendet

Welch eine Freude! Auch dieses Patenkind hat es dank der Hilfe durch ihren Paten geschafft: Sie ist nun ausgebildete „Enfermeira“ (Krankenschwester).
Diese Berufsausbildung in einer „Faculdade“ ist leider nicht kostenlos. Nur durch die Unterstützung des Paten, die auch nach der regulären Schulzeit weiter lief, konnte sie sich diesen Traum erfüllen. Sie ist eines dieser Beispiele, über die wir uns besonders freuen. Weiterhin alles Gute!

Leider konnten wir in diesem Jahr nicht, wie in den vergangenen Jahren üblich, zum Tag des Kindes einen Besuch aller „internen“ Heimkinder ins Schwimmbad organisieren. Es kamen in diesem Jahr einfach zu wenige allgemeine Spenden an den Verein an und unsere Kasse für solche besonderen Erlebnisse ist leider ziemlich leer. Wenigstens die Kinder aus dem Heim 125 hatten Glück, denn der Supermarktbesitzer, in dem die Mütter der Kinder mit unseren Coupons einkaufen gehen, hat den Ausflug in ein kleineres Bad bezahlt.  

So wie es nach derzeitiger Spendenlage aussieht, müssen wir zum Ende des Jahres leider das Heim 125 für interne Kinder schließen. Diese werden dann zu Hause in Ihren Familien weiterbetreut. Das ist extrem schade, aber wohl unausweichlich. Dadurch werden 2 Mitarbeiterinnen eingespart, die bislang die Kinder bekocht und betreut hatten.

Es ist so traurig, dass in den vergangenen Wochen sehr viele unserer langjährigen Paten verstorben sind. Deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Und so haben viele Kinder Ihren Paten verloren und mussten sich wieder mit der Armut abfinden. 

Unser wirklich geringer Satz von 17% für Verwaltungsausgaben stieg dadurch auf rund 20% an, obwohl wir gleichzeitig noch einige Einsparungen vornehmen konnten. Leider ist es Mathematik: Weniger Einnahmen führen zu prozentual höheren Verwaltungskosten, auch wenn die Kosten ansich auch weniger geworden sind. In den letzten 10 Jahren haben sich unsere Spendeneinnahmen praktisch halbiert. 

Bitte helfen Sie uns neue Paten zu finden. Sie selbst wissen am Besten, was wir tun und sehen wie wirksam wir es tun. Erzählen Sie bitte davon.  

Einige der kleineren "internen" Kinder im Heim 125

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